Autorin: Stefanie Aufleger
In meiner Kindheit erzählte mir meine Nachbarin von einem Esel, der in ihrer Heimat in den Dorfbrunnen gefallen ist. Der Brunnen war längst ausgetrocknet. Die Männer aus dem Dorf kamen zusammen mit Seilen und schwerem Gerät und versuchten den Esel heraus zu hieven – ohne Erfolg! Letztlich stand der Entschluss, den Brunnen mit Erde zuzuschütten, damit das laute „iiee-aaahhh“ verstummt und „die Angelegenheit“ am Dorfbrunnen erledigt ist.
Ich weiß noch ganz genau, wie mich dieser Teil der Geschichte entsetzte und mich zum weinen brachte. Den Esel lebendig zu begraben – eine schreckliche Vorstellung! So schaufelten sie Dreck, Steine und Erde in den Brunnen. Jeder, der eine Schaufel hatte, packte mit an. Rasch war es ruhig geworden und dennoch war es den Bauern anzumerken, dass sie ihr Gewissen quälte. „So etwas macht keiner gern“, sagte meine Nachbarin dann immer. „Doch manchmal muss man die Dinge machen, die man eben machen muss.“ Bis heute habe ich diesen Satz nicht verstanden und frage mich wie damals, wie Menschen auf Kosten anderer so schnell aufgeben können.
Die Bauern waren müde geworden und legten eine Rast ein, tranken und aßen, was ihnen ihre Frauen zum Brunnen brachten. Keiner sprach ein Wort. Einzig zu hören war die rieselnde Erde im Brunnen, ein stumpfes Scharren und plötzlich ein krächzendes „iiee-aaahhh“. Die Dorfbewohner erschreckten sich, rannten zum Brunnen und sahen den Kopf und die langen Ohren, die der Esel hervor streckte.
Der Esel lebte. Jede Schaufel mit Dreck, die auf ihn geworfen wurde, prasselte an seinem Fell ab auf den Grund des Brunnens. Schritt für Schritt stieg der Esel aufwärts, bis er fast ganz oben am Brunnen war. Euphorisch jubelnd schaufelten die Bauern weiter und retteten letztlich den Esel aus dem Brunnen. Sie feierten ein großes Fest und schmückten den Esel.
Die Geschichte, die an diesem Tag geschrieben wurden, haben die Dorfbewohner nie wieder vergessen und erzählen sie sich noch heute.
Manchmal bist du der Bauer. Manchmal der Esel.
Als Bauer nutze deine Bauernschläue und denk einen Moment länger nach, wie eine Lösung aussieht, die für alle gut ist. Als Esel verliere nie die Zuversicht, auch wenn andere mit Dreck nach dir werfen. Schüttle ihn ab und nutze jeden Stein als nächste Stufe, um über dich hinaus zu wachsen. Und dann, am Ende: Lass dich feiern!
Bleib lebendig!
Stefanie Aufleger
STEAUF.de
„Lebendige Unternehmen lernen von der Natur“, das ist das Thema von Stefanie Aufleger, seit 20 Jahren Business-Coach aus Konstanz. Mit ihren Klienten entwickelt sie naturkonforme Strategien und zeigt ihnen, wie sie auf „natürliche Weise“ ihr Leben stabil und leicht gestalten können.